"Ich habe
jede Nacht sechs Stunden Text gelernt"
Hannelore Elsner über ihr 90-Minuten-Solo
"Mein letzter Film"
Frau Elsner, MEIN LETZTER FILM sieht aus, als wäre er für Sie
geschrieben worden.
Elsner: Ist er auch (lacht). Damit so ein Projekt überhaupt
zustande kommt, dafür braucht man einen kreativen Produzenten und das ist
Hubertus Meyer-Burkhardt, der die Idee hatte, mit Bodo Kirchhoff einen
Monolog für eine Frau zu machen. Die beiden waren sich dann sehr schnell
einig, dass das für mich sein würde. Dann braucht es eine kreative
Redakteurin wie Gabriela Sperl vom BR, die diesen Film möglich gemacht
hat. Ansonsten kommt so ein Projekt nie zustande.
Können Sie sich an das Gefühl erinnern, das sie nach dem ersten Lesen
des Drehbuchs hatten?
Elsner: Ja, ich hab das gelesen und dachte ‚oh Gott, wie soll man
sowas spielen, wie soll man sowas machen?‘ Aber es war natürlich
unglaublich das zu lesen. Und dann kam Oliver Hirschbiegel, zu dem ich
großes Vertrauen habe und ich lernte Reiner Klausmann kennen, den
Kameramann, der im Film ja sozusagen mein Partner ist. So zwei Wochen vor
Drehbeginn haben wir dann einige Tage geprobt und die Drehfassung
hergestellt.
Was unterschied die Dreharbeiten zu MEIN LETZTER FILM von anderen
Drehs?
Elsner: Es war ganz klein, ganz intim und gedreht wurde fast
ausschließlich in dieser kleinen Wohnung. So eine konzentrierte Atmosphäre
braucht man für diese langen Szenen. Wir haben ja immer so 10, 15 Seiten
Text gedreht. Es gibt keine Schnitte, außer wenn ich die Kamera mit einem
‚Stoppen Sie mal!‘ direkt angesprochen habe.
Wie haben Sie bei so langen Einstellungen den Rhythmus halten können?
Elsner: Jede Seite wurde vorab gestoppt und hatte soundsoviel
Sekunden, das musste ich einhalten. Wir haben chronologisch, vom Anfang
bis zum Schluss gedreht. Weil es keine Schnitte gibt, durfte ich auch
nicht länger werden, das war unmöglich. Dieses Korsett war sehr gut für
mich, weil mir dadurch wie bei Musik ein bestimmter Takt, ein Rhythmus
vorgegeben war. Das war sehr interessant, wie ich allmählich in diesen
Rhythmus hineingekommen bin.
Beim Spielen fehlte ihnen vollkommen das Gegenüber, Sie mussten aus
sich selbst schöpfen und konnten nicht auf ein Gegenüber reagieren. Wie
haben Sie das ausgehalten?
Elsner: Aber ich hatte ja ein Gegenüber.
Ja, den Kameramann. Aber da kommen doch keine Stichworte, keine
Reaktionen.
Elsner: Rainer Klausmann, der ein wunderbarer Mensch und Kameramann
ist, hat seine Rolle doch hervorragend gespielt. Durch seine
Kamerabewegungen spürt man doch diesen jungen Mann, der da so schüchtern
rumsteht und plötzlich damit konfrontiert ist, diese Wucht aushalten zu
müssen. Diese kurzen Unschärfen, das Geruckel, das hat er gespielt und am
Anfang hat er sich an diese Marie gar nicht so nah rangetraut. Das hat er
wunderbar gemacht. Er hatte da eine doppelten Funktion: als mein Gegenüber
und als der Kameramann, der das in Bilder übersetzt.
Als Kommunikationspartner, der Ihnen ins Wort fällt, Sie zu einer
Reaktion zwingt fällt er aber aus. Der Kameramann schweigt und filmt.
Elsner: Aber in diesem Fall ist es doch ganz anders. Das ist ein
Monolog. Das heißt, ich habe das für jemanden gesprochen, ich habe das in
die Kamera gesprochen für einen bestimmten Menschen. Insofern hatte ich
einen Partner und ich hatte mich, meine Gedanken. Ich habe ja nicht nur
den Text gedacht und gesprochen, ich hatte ja meine eigenen Fragen und
Antworten in mir. Das ist mit Sicherheit eine ganz andere Form. Ich hatte
am Anfang eine sehr große Scheu in die Kamera hineinzusprechen. Aber ganz
bald wurde die Kamera mein Partner. Die Antworten, die habe ich dann nicht
mehr vermisst. Ich habe Maries Geschichte durchlebt, die Antworten hatte
ich in mir.
Wenn Sie ein Drehbuch lesen, versuchen Sie sich mit der Figur zu
identifizieren, die Sie spielen sollen?
Elsner: Sofort, auf der Stelle. Das ist ein ganz besonderer Prozess
wenn man das zum ersten Mal liest. Man muss sehr wachsam sein. Da
geschieht ja was mit einem. Und alles, was mit einem geschieht muss man in
sich aufbewahren, weil das der erste Impuls, das erste Gefühl für eine
Rolle ist. Auch die Zuneigungen und Abneigungen muss man sich merken und
bewahren. Was man zum ersten Mal erlebt ist wahr.
Als ich den Film gesehen habe, habe ich mich immer wieder gefragt, wie
man einen so komplexen Text lernen und dann auch noch darstellen kann.
Elsner: Gerade bei MEIN LETZTER FILM kam ich mir wie eine
Marathonläuferin vor. Je weiter ich lief, um so euphorischer wurde ich.
Ich habe Tag und Nacht gelernt und war nur mit diesem Text beschäftigt.
Ich habe jeden Tag gedreht und dann habe ich sechs Stunden gelernt. Die
ersten zwei Stunden habe ich wie bei Fingerübungen am Klavier versucht,
den Text in den Mund zu bekommen. Die nächsten zwei Stunden habe ich noch
mal jedes einzelne Wort umgedreht und nach seinen verschiedenartigen
Bedeutungen untersucht. Dabei spiele ich mir nie was vor, ich übe das
nicht. Ich mach das nur gedanklich. Und dann brauche ich noch mal zwei
Stunden um das ganze vom Kopf wieder in den Bauch zu kriegen und zu
vergessen. Ein vielschichtiger Prozess ist das. Das macht unglaublichen
Spaß, das ist eine klare Gedankenarbeit. Das fasziniert mich wie dieser
Zugang von meinem Kopf zu meinem Gefühl und umgekehrt funktioniert.
“Figuren, die ganz weit weg von mir sind, möchte ich gar nicht
darstellen”, haben Sie einmal in einem Interview gesagt. Wieviel
Abgrenzung brauchen Sie von einer Filmfigur, die so viele Bezugspunkte zu
ihnen nahelegt?
Elsner: Ich bin viele, ich hab sehr viel in mir, um mir vieles und
viele verschiedene Frauen vorzustellen, die ich auch sein könnte. Die, die
ich nicht darstellen möchte, das sind ganz wenige. Aber das verändert sich
auch. Also mit dieser Figur in Oskar Roehlers FAHR ZUR HÖLLE SCHWESTER
habe ich zum Beispiel erstmal überhaupt nichts zu tun und trotzdem habe
ich diese Rolle sehr gemocht. Ich bin es und ich bin es nicht.
Gibt es einen Punkt von Marie, wo Sie sagen, da bin ich aber sehr weit
weg, das ist mir fremd?
Elsner: Nein, die Marie ist mir nicht sehr weit weg. Man ist ja
nicht so einmalig, wie man sich das manchmal denkt. Überhaupt stell ich
immer mehr fest, dass die Marie eine Frau wie ganz viele Frauen ist. Sie
hat Dinge erlebt, die fast alle Frauen erleben, insofern ist das sehr
vertraut. Wenn es mir zu nahe kommt, reicht als Abgrenzung mir zu sagen,
‚ich spiele das nur, ich bin es nicht‘.
Am Ende von MEIN LETZTER FILM verlässt Marie die Wohnung. Es gibt
wenige Gründe für diesen Schluss, er passt nicht ins strenge Konzept und
doch scheint er notwendig.
Elsner: Ich denke auch, dass dieser Schluss richtig ist. Ich
glaube, dass alle Frauen sich in Marie wieder erkennen und ich glaube
auch, dass alle Männer sich wieder erkennen. Es ist wichtig, dass man
nicht geschlagen das Feld räumt, sondern dass man, wenn man das alles
überstanden hat, gestärkt und bei sich ist und bei sich bleibt.
Marie ist von ihrem Richard entdeckt worden, er hat sie mit Projekten
aufgebaut. Hätten Sie sich so etwas für ihre Karriere gewünscht?
Elsner: Ja ich hätte mir schon so eine künstlerische Heimat
gewünscht. Ich habe mir vorgestellt, dass es ideal wäre, wenn man so ein
Gespann wäre wie Gena Rowlands und John Cassavetes, Ingmar Berman und Liv
Ulmann, oder Francois Truffaut und Fanny Ardant. Mein Gott, wunderbar! Das
meine ich jetzt aber rein beruflich. Ich habe mir immer eine künstlerische
Heimat gewünscht, wo man mit wirklich Gleichgesinnten zusammenarbeiten
kann.
Aber Sie haben doch in einigen der schönsten Filme des Jungen Deutschen
Kinos der 70er gespielt?
Elsner: Das waren damals halt so Cliquen und ich war nie im Leben
in einer Clique, obwohl es schon eine Sehnsucht danach gab. Mit Alf
Brustellin und Edgar Reitz hatte ich dann das Gefühl, sowas wie eine
künstlerische Heimat gefunden zu haben. Aber im Grunde sind da auch nur
drei Filme entstanden, DIE REISE NACH WIEN, DER STURZ und BERLINGER.
Die 60er Jahre haben sie einmal mit einem schönen Begriff als den
“Winterschlaf” ihrer Karriere bezeichnet. Wodurch sind Sie aufgeweckt
worden?
Elsner: Durch DIE REISE NACH WIEN, durch die Begegnung mit Edgar
Reitz, Alf Brustellin, Nikos Perakis, Alexander Kluge und Volker
Schlöndorff und so. Das heißt, da bin ich nicht nur aufgeweckt worden, da
wollte ich auch aufwachen. Ich war zu lange in Bereichen, die mir nicht
gefallen haben. Das heißt, ich habe gelernt, ich habe wahnsinnig viel
Theater gespielt, das war sozusagen meine Lehrzeit und das hat mir
gefallen. Und nebenbei, um Geld zu verdienen, habe ich diese
Lausbubenfilme gemacht.
Würden Sie Oliver Hirschbiegel als einen Schauspielerregisseur
bezeichnen?
Elsner: Absolut, er ist ein wunderbarer Mensch und ein wunderbarer
Regisseur. Er hat mich unglaublich getragen. Und wichtig ist ja diese
Atmosphäre der Sicherheit, die jemand verbreitet. Ich fühlte mich total
sicher und habe mich alles getraut. Er mochte die Marie und er mochte mich
und er mochte, dass er diesen Film macht. Er mag seine Arbeit und das hat
man gespürt. Das ist das Wichtigste.
Vielen Dank!
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