"Ich liebe beides:
das Bittere und das Süße"
Juliette Binoche über "Chocolat"
und ihre Arbeit als Schauspielerin
Frau Binoche, in "Chocolat"
geht es um Würde, um Intoleranz, um Integrität – sind das für Sie
aktuelle Themen?
BINOCHE: Toleranz ist ein großes Thema, ein Thema, das auch seit Jahrtausenden
aktuell ist. Ich glaube, die wichtigste Toleranz ist die gegenüber sich
selbst. Wenn man sich selbst gegenüber tolerant ist, kann man es auch
anderen gegenüber leichter sein. Um sich selbst etwas zu lieben und die
Brücke zur Umwelt zu schlagen, braucht es Glauben, braucht man Mut und
Liebe. Das ist eines der Themen des Films, aber es gibt viele Themen
darin. Die Schokolade ist in dem Film das Motiv, der Weg, diese Brücke
zwischen der Außenseiterin und ihrer Umwelt zu schlagen.
Weshalb ausgerechnet Schokolade?
BINOCHE: Das müßten Sie zuerst mal die Autorin
des Buchs fragen. Ich halte aber Schokolade für ein phantastisches
Symbol: Sie hat etwas Mysteriöses. Bei den Maya und anderen Völkern etwa
war Schokolade ein Symbol für die Götter, sie war ein Teil des rituellen
Lebens. Wenn ein Mensch von einem Land zum andern wandern mußte, wurde
ihm Schokolade als Wegzehrung mitgegeben. Schokolade werden
aphrodisierende Kräfte zugesprochen, manche halten auch depressive
Wirkungen für möglich. Gerade bei Frauen ist Schokolade an bestimmten
Tagen des Monats die bevorzugte Nahrung... (lacht)
Hat Schokolade für Sie selbst besondere
Reize?
BINOCHE: Ja, geradezu verführerische. Schokolade
zu essen hat immer mit Genuß zu tun, hat etwas sehr Sinnliches. Man kann
Geräusche machen ... mmmh.... Schokolade kann ein Objekt der Begierde
sein, wenn man sie gerade nicht hat. Oder man hat zuviel davon und kann
sie nicht mehr sehen. Und wie bei jedem Genuß geht es auch darum,
maßvoll zu genießen. Schokolade kann auch krank machen, sogar süchtig
machen.
Kamen Sie denn während der Dreharbeiten
dazu, selbst viel Schokolade zu essen?
BINOCHE: Ja, trotzdem habe ich in der Zeit abgenommen, denn ich war vorher
schwanger.
Sie drehen schon lange nicht mehr nur in
Frankreich Filme, sondern auf der ganzen Welt. Wo und mit wem arbeiten Sie
denn am liebsten?
BINOCHE: Ich bin immer auf der Suche, ich möchte
gerne immer neue Erfahrungen machen. Wenn ich in Frankreich mit Franzosen
arbeite, fühle ich mich denen manchmal weniger nah als Leuten aus anderen
Ländern. Die Grenzen und die Nationalität sind doch eher eine Illusion.
Ich kann mich überall auf der Welt Menschen nahe fühlen, dafür müssen
wir nicht die gleiche Muttersprache haben.Als ich 20 war, wurde mir klar, daß ich
auch Englisch sprechen möchte, um all die Möglichkeiten zu haben, um
flexibel zu sein.. Ich möchte mich nicht eingeengt fühlen – nicht in
einem Land, und auch sonst auf keiner Ebene. Es geht auch nicht darum, ob
jemand, mit dem ich arbeite, ein Star ist. Johnny Depp war bei den
Dreharbeiten zu "Chocolat" einfach ein Mensch, mit dem ich
zusammengearbeitet habe. Die Atmosphäre in einem Filmteam stimmt dann,
wenn es keine Rolle spielt, woher die einzelnen Leute kommen und wie
berühmt sie sind oder nicht. Was zählt, ist, ob die Geschichte, die man
gemeinsam erzählen will, einen anspricht.
Mit "Code: Inconnu" und "Chocolat"
sind Sie zur Zeit in zwei sehr unterschiedlichen Filmen im Kino zu sehen.
Das eine ist mehr ein Autorenfilm, der andere ein kommerziellerer Film.
Welcher der beiden Filme liegt Ihnen mehr am Herzen, warum machen Sie
beides?
BINOCHE: Jeder Film ist ja etwas eigenes und
hat eine eigene Entwicklung. Ich brauche gerade diese Unterschiede. Jeder
Regisseur hat seine eigenen Möglichkeiten und Mittel, sich auszudrücken.
Wenn man die Filme von Lasse Hallström sieht, findet man auch
Gemeinsamkeiten und Verbindungen untereinander, "Chocolat" ist
kein losgelöster kommerzieller Film. Kein Film, den man einfach mal
schnell sehen kann. Ein gewisses Risiko war damit schon verbunden, umso
mehr haben wir uns gefreut, daß der Film in den USA gut läuft. Michael
Haneke, der Regisseur von "Codu: Inconnu", hat noch ein sehr
viel höheres Risiko auf sich genommen. Sein Film ist ein kleiner Film,
und es ist viel schwieriger, daß so ein Film auch gut läuft oder
überhaupt erstmal zustande kommt. Das Tempo ist ganz anders, das Thema
nicht so leicht zugänglich. Diese Art von Film, diese Art des Zuschauens
ist das Publikum nicht unbedingt gewohnt. Filmemachen ist ja auch eine
Industrie. In dieser Industrie ist es ein Luxus, so einen Film drehen zu
können. Aber ich liebe ihn sehr. Ihre Frage ist ein bißchen wie die
Frage: Willst du lieber Käse oder Dessert nach dem Essen? Ich liebe
beides. Das Bittere und das Süße. Die Kombination macht es. So habe ich
die Möglichkeit, mich auf sehr unterschiedliche Art auszudrücken. Das
finde ich sehr reizvoll.
Berlinale im Überblick: Unsere Kritiken
und Interviews
Zurück
zur Hauptseite Film...
|