Berlinale 2001

"Ich liebe beides: das Bittere und das Süße"
Juliette Binoche über "Chocolat" und ihre Arbeit als Schauspielerin

Frau Binoche, in "Chocolat" geht es um Würde, um Intoleranz, um Integrität – sind das für Sie aktuelle Themen?
BINOCHE: Toleranz ist ein großes Thema, ein Thema, das auch seit Jahrtausenden aktuell ist. Ich glaube, die wichtigste Toleranz ist die gegenüber sich selbst. Wenn man sich selbst gegenüber tolerant ist, kann man es auch anderen gegenüber leichter sein. Um sich selbst etwas zu lieben und die Brücke zur Umwelt zu schlagen, braucht es Glauben, braucht man Mut und Liebe. Das ist eines der Themen des Films, aber es gibt viele Themen darin. Die Schokolade ist in dem Film das Motiv, der Weg, diese Brücke zwischen der Außenseiterin und ihrer Umwelt zu schlagen.

Weshalb ausgerechnet Schokolade?
BINOCHE: Das müßten Sie zuerst mal die Autorin des Buchs fragen. Ich halte aber Schokolade für ein phantastisches Symbol: Sie hat etwas Mysteriöses. Bei den Maya und anderen Völkern etwa war Schokolade ein Symbol für die Götter, sie war ein Teil des rituellen Lebens. Wenn ein Mensch von einem Land zum andern wandern mußte, wurde ihm Schokolade als Wegzehrung mitgegeben. Schokolade werden aphrodisierende Kräfte zugesprochen, manche halten auch depressive Wirkungen für möglich. Gerade bei Frauen ist Schokolade an bestimmten Tagen des Monats die bevorzugte Nahrung... (lacht)

Hat Schokolade für Sie selbst besondere Reize?
BINOCHE: Ja, geradezu verführerische. Schokolade zu essen hat immer mit Genuß zu tun, hat etwas sehr Sinnliches. Man kann Geräusche machen ... mmmh.... Schokolade kann ein Objekt der Begierde sein, wenn man sie gerade nicht hat. Oder man hat zuviel davon und kann sie nicht mehr sehen. Und wie bei jedem Genuß geht es auch darum, maßvoll zu genießen. Schokolade kann auch krank machen, sogar süchtig machen.

Kamen Sie denn während der Dreharbeiten dazu, selbst viel Schokolade zu essen?
BINOCHE: Ja, trotzdem habe ich in der Zeit abgenommen, denn ich war vorher schwanger.

Sie drehen schon lange nicht mehr nur in Frankreich Filme, sondern auf der ganzen Welt. Wo und mit wem arbeiten Sie denn am liebsten?
BINOCHE: Ich bin immer auf der Suche, ich möchte gerne immer neue Erfahrungen machen. Wenn ich in Frankreich mit Franzosen arbeite, fühle ich mich denen manchmal weniger nah als Leuten aus anderen Ländern. Die Grenzen und die Nationalität sind doch eher eine Illusion. Ich kann mich überall auf der Welt Menschen nahe fühlen, dafür müssen wir nicht die gleiche Muttersprache haben.Als ich 20 war, wurde mir klar, daß ich auch Englisch sprechen möchte, um all die Möglichkeiten zu haben, um flexibel zu sein.. Ich möchte mich nicht eingeengt fühlen – nicht in einem Land, und auch sonst auf keiner Ebene. Es geht auch nicht darum, ob jemand, mit dem ich arbeite, ein Star ist. Johnny Depp war bei den Dreharbeiten zu "Chocolat" einfach ein Mensch, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Die Atmosphäre in einem Filmteam stimmt dann, wenn es keine Rolle spielt, woher die einzelnen Leute kommen und wie berühmt sie sind oder nicht. Was zählt, ist, ob die Geschichte, die man gemeinsam erzählen will, einen anspricht.

Mit "Code: Inconnu" und "Chocolat" sind Sie zur Zeit in zwei sehr unterschiedlichen Filmen im Kino zu sehen. Das eine ist mehr ein Autorenfilm, der andere ein kommerziellerer Film. Welcher der beiden Filme liegt Ihnen mehr am Herzen, warum machen Sie beides?
BINOCHE: Jeder Film ist ja etwas eigenes und hat eine eigene Entwicklung. Ich brauche gerade diese Unterschiede. Jeder Regisseur hat seine eigenen Möglichkeiten und Mittel, sich auszudrücken. Wenn man die Filme von Lasse Hallström sieht, findet man auch Gemeinsamkeiten und Verbindungen untereinander, "Chocolat" ist kein losgelöster kommerzieller Film. Kein Film, den man einfach mal schnell sehen kann. Ein gewisses Risiko war damit schon verbunden, umso mehr haben wir uns gefreut, daß der Film in den USA gut läuft. Michael Haneke, der Regisseur von "Codu: Inconnu", hat noch ein sehr viel höheres Risiko auf sich genommen. Sein Film ist ein kleiner Film, und es ist viel schwieriger, daß so ein Film auch gut läuft oder überhaupt erstmal zustande kommt. Das Tempo ist ganz anders, das Thema nicht so leicht zugänglich. Diese Art von Film, diese Art des Zuschauens ist das Publikum nicht unbedingt gewohnt. Filmemachen ist ja auch eine Industrie. In dieser Industrie ist es ein Luxus, so einen Film drehen zu können. Aber ich liebe ihn sehr. Ihre Frage ist ein bißchen wie die Frage: Willst du lieber Käse oder Dessert nach dem Essen? Ich liebe beides. Das Bittere und das Süße. Die Kombination macht es. So habe ich die Möglichkeit, mich auf sehr unterschiedliche Art auszudrücken. Das finde ich sehr reizvoll.


Berlinale im Überblick: Unsere Kritiken und Interviews

Zurück zur Hauptseite Film...

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
Copyright 2001 by
Filmaktuell.com