"Filme für Erwachsene,
die trotzdem im Kino laufen"
Ein Gespräch mit Steven
Soderbergh über seinen Film "Traffic", den Krieg gegen die Drogen und
sein Arbeiten mit Schauspielern - Beitrag zu OCEAN'S ELEVEN folgt.
Steven
Soderbergh gilt als Vorläufer einer neuen Generation von US-Filmemachern.
1963 geboren, arbeitete er als Fotograf, Tonmann und Kameraassistent,
bevor er 1986 seinen ersten Film drehte: eine Grammy-gekrönte
Konzertreportage über die Gruppe YES. Für sein zweites Werk, "Sex,
Lügen und Video" mit Angie McDowell, erhielt er 1989 die Goldene
Palme in Cannes. Mit Filmen wie "Kafka" (fast ausschließlich
in Schwarzweiß gedreht), "Schizopolis" oder "Out of Sight"
festigte er seinen Ruf als unkonventioneller Filmemacher. Im vergangenen
Jahr schließlich gelang Soderbergh mit "Erin Brockovich" der
ganz große Durchbruch. Die Verbindung von politischen Inhalten mit
persönlichem Schicksal (und Julia Roberts) begeisterte Kritik wie
Publikum.
Mit "Traffic" legt Soderbergh nun noch einmal zu. Dafür gab es
dieses Jahr dann auch vier Oscars, davon einen für die Beste Regie.
Ein Gespräch mit dem Regisseur vom Februar 2001.
Lesen Sie auch unsere Kritik zu "Traffic".
Herr Soderbergh, das akute Problem
der Drogen ist in den USA vielen bewußt, aber vor Ihnen hat niemand es
zum Thema eines Spielfilms gemacht. Haben Sie Widerstände gespürt, als
Sie "Traffic" in Angriff nahmen?
Man scheint in den USA zu glauben, daß sich politische Filme oder
überhaupt Filme, die sich mit gesellschaftlichen Themen befassen, nicht
gut verkaufen lassen. Deshalb war es für uns am Anfang sehr schwierig.
Keiner schien sich für das Projekt zu interessieren, auch nicht für das
Drehbuch. Das hat uns einiges an Zähigkeit abverlangt, an einem Film
festzuhalten, wenn dir jeder sagt: Laß es sein, wir glauben nicht daran.
Es war dann auch keines der großen Studios, sondern eine der wenigen
Independents, die es schließlich doch aufgriff und so überhaupt möglich
gemacht hat.
Viele Szenen des Films wirken
erschreckend realitätsnah. Basiert das Drehbuch, basieren die
Handlungsstränge des Films auf realen Ereignissen?
Das Drehbuch geht ursprünglich auf eine kleine BBC-Serie aus den 80er
Jahren zurück. Die dort angelegten Geschichten haben wir versucht, in die
USA zu verlegen. Das ging natürlich nicht reibungslos. Den gesamten
Handlungsstrang mit Mexiko haben wir neu geschaffen. Und dabei stammt
eigentlich alles, was sich in Mexiko abspielt, aus Zeitungsartikeln und
Berichten, auf die wir im Lauf der Recherchen stießen. Das ist in der Tat
erschreckend. In der New York Times war allerdings vor einigen Wochen zu
lesen, daß die Drogenexperten der US-Regierung meinten, der Film gehe
nicht weit genug in seiner Darstellung des Drogenkrieges. Wir müssen uns
die Wirklichkeit also noch ein Stück härter vorstellen.
Das Ende des Films ist dann aber doch recht optimistisch. Was ist denn Ihre
persönliche Meinung zur "War on Drugs"-Kampagne der USA?
Naja, ich habe zweieinhalb Jahre recherchiert, und ich habe jetzt ein
sehr viel komplexeres, komplizierteres Bild von der Problematik als am
Anfang. Man muß sich natürlich schon fragen, ob der Stil, mit dem die
USA diesen Kampf führen, wirklich der beste ist, wie es so viele meinen.
Denn das Nettoergebnis dieser Politik der letzten Jahre ist, daß die
Gefängnisse vollgestopft sind mit Straftätern aus dem Drogenbereich. Ob
die US-Regierung Drogenabhängigkeit auch als Gesundheitsproblem sehen
wollen und nicht nur kriminalisieren will, ich weiß es nicht. Und nun
haben wir ja einen neuen Präsidenten in den USA, und mit ihm ist auch der
alte Drogenfighter nicht mehr in seinem Amt. Den neuen kennen wir kaum,
und George Bush selbst hat sich bisher noch nicht zu einer möglichen
Drogenpolitik geäußert. Alles ist also sehr offen.
Was uns gefreut hat: Seit der Film in den USA anlief, haben sehr viele
Journalisten Politiker direkt angesprochen und gefragt: Haben Sie den
"Traffic" gesehen und wenn ja, was halten Sie von der
Drogenpolitik? Das Thema kommt so immerhin ein wenig auf die Tagesordnung
durch den Film. Ich weiß nicht, ob das auch bedeutet, daß sich wirklich
etwas ändern könnte. Aber ein Artikel in der New York Times ist besser
als gar nichts.
Glauben Sie, daß dieser Film die
Fronten zwischen Mexiko und den USA etwas auflockern wird?
Ich glaube nicht. Was in Mexiko in Bezug auf dieses Thema geschehen ist,
ist wirklich sehr traurig. Die USA haben großen Druck auf Kolumbien
ausgeübt, und die Karibik praktisch abgeriegelt. Das Problem hat sich
damit nach Mexiko verschoben. Die wirtschaftliche Macht des
Drogengeschäfts ist überwältigend, erst recht in einem Land, in dem der
wirtschaftliche Druck so hoch ist. So kommt es zu dem, was wir in den
letzten zehn Jahren hier erleben, nämlich sehr viel Gewalt. Wie auch in
dem Film jemand sagt: das NAFTA-Abkommen verkompliziert das Ganze noch.
Der Handel ist theoretisch offener geworden, also gibt es aber auch mehr
Chancen für den Austausch von Drogen. Der mexikanische Präsident hat
zwar die Bereitschaft erklärt, dieses Thema gemeinsam mit den USA
anzugehen, aber die wirkliche Macht im Drogenkrieg haben – in beiden
Ländern - nicht die politischen Entscheidungsträger.
Ihr
letzter Film war "Erin Brockovich", nun "Traffic".
Beide Filme handeln von der Demokratie, beide Filme sind Kommentare zur
Gesellschaft. Sind Sie mit diesen Filmen ein politischer Filmemacher
geworden?
Nein, das kann ich nicht von mir sagen. In wenigen Tagen beginne ich
mit Dreharbeiten für ein Projekt, das wieder weniger ernsthaft und
seriös daherkommt. Nachdem es sich eher zufällig ergeben hatte, daß
zwei so ernste, kritische Projekte aufeinander folgten, habe ich nun
wieder auf etwas Leichteres Lust. Ich habe also keine Liste an
gesellschaftlichen Themen, die ich nach und nach abarbeiten möchte.
Wie in "Erin Brockovich"
haben Sie auch bei "Traffic" – in den USA sehr unüblich -
wieder selbst die Kameraarbeit gemacht. Weshalb? Und inwiefern verändert
das Ihr Verhältnis zu den Schauspielern?
Als ich als junger Filmemacher begonnen habe, habe ich wie die meisten
anderen auch die Kameraarbeit anderen überlassen und mit Videomonitoren
am Set gearbeitet. Das schuf einen Abstand zwischen mir und den
Schauspielern, und das war auch gewollt. Irgendwann hat sich das
geändert. Ich wollte näher an die Schauspieler ran, um diese
Arbeitsdistanz zu verringern. Seitdem mache ich die Kamera selbst. Ich
glaube, die Schauspieler haben, wenn man mit der Kamera auf der Schulter
nur einen, eineinhalb Meter von ihnen entfernt steht, auch das Gefühl,
daß sie mehr aus der Nähe gesehen werden. Ich kann ihnen so, während
wir drehen, flüsternd Anweisungen geben. Die Atmosphäre ist viel
intimer. Die Crew bei "Traffic" war auch ungewöhnlich klein.
Wir konnten so sehr schnell arbeiten. Michael Douglas ging irgendwann gar
nicht mehr in seinen Wohnwagen zwischen zwei Takes, weil immer, wenn er
den halben Weg gelaufen war, der Regieassistent kam und ihn für die
nächste Aufnahme zurückholte. Das alles bringt ein gewisses Tempo und
eine Konzentriertheit mit sich, die, glaube ich, auch im Film
rüberkommen.
Wie kamen Sie darauf, den drei
Handlungssträngen des Films jeweils eigene Farben und filmische Mittel
zuzuordnen?
Ich befürchtete, daß es für den Zuschauer nicht ganz einfach wäre,
immer gleich zu wissen, wo man sich – geographisch und von der Handlung
her – befindet. Da waren charakteristische Farbfilter, Filmmaterial und
Lichteinstellungen, die die Stränge und Schauplätze visuell deutlich
voneinander trennen, ein naheliegendes Mittel, um immer für Klarheit zu
sorgen.
Das erinnert nicht nur optisch an die
französische Nouvelle Vague. Inwiefern hat Sie das europäische Kino
beeinflußt?
Ich habe als Jugendlicher, also Mitte, Ende der 70er Jahre, viele Filme
gesehen, auch sehr viele europäische. Die Nouvelle Vague in Frankreich,
die britische New Wave, deutsche Filmemacher wie Wim Wenders, Werner
Herzog – all das hat mich stark beeinflußt. Godards "Außer
Atem" ist für mich der allererste Dogma-Film. Jedenfalls ist es auch
ein Grundsatz meiner Filmarbeit, so zu tun, als ob heute 1974 sei und man
Filme für Erwachsene machen kann, die dann sogar tatsächlich ins Kino
kommen.
Ihre Karriere in den letzten zehn
Jahren mit Filmen wie ""Sex, Lügen und Video",
"Kafka", "Schizopolis" oder "Out of Sight"
war denn auch ein ständiges Auf und Ab. Mit "Erin Brockovich"
hatten Sie nun Ihren kommerziellen Durchbruch. Verändert das Ihre
Arbeitsweise?
Ich weiß nicht. Ich habe eigentlich von Anfang an immer mit dem
selben Ansatz gearbeitet. Das klingt vielleicht verrückt, aber ich
dachte, als ich den Film machte, wirklich, viele würden sich
"Kafka" ansehen. Ich habe eigentlich immer Filme gemacht, die
ich selber sehen wollte, und diese Arbeitsweise nicht aufgegeben.
Irgendwann habe ich aber auch beschlossen, daß ich nicht mein Leben lang
Filme machen wollte, die ausschließlich in Programmkinos laufen, wo
Autorenfilme gezeigt werden. Dieses Phänomen hat mich etwas unruhig
gemacht. Also habe ich mich entschieden, beides zu machen: die größeren
Filme, mit den großen Stars auch und so weiter - aber auch die kleineren
Projekte. Wenn man auf Dauer nur in der einen oder nur in der anderen
Kategorie bleibt, wird man, glaube ich, mit der Zeit auch etwas
selbstzufrieden.
Mit "Erin Brockovich" und
"Traffic" stehen Sie gerade sehr stark da. Haben Sie das
Gefühl: Ich bin im Moment nicht zu schlagen, ich kann alles?
Oh nein, das nicht. Was sich für mich durch den Erfolg wirklich
geändert hat, ist, daß ich jetzt schneller arbeiten kann. Anstatt
monatelang jemanden von einem neuen Projekt überzeugen zu müssen, geht
das jetzt in wenigen Wochen. So kann ich mehr Zeit damit verbringen,
wirklich Filme zu drehen. Das macht natürlich Spaß.
Aber ich weiß auch, daß das Filmbusiness ein sehr schnelles und
zyklisches ist. So schnell es bergauf geht, kann es auch wieder bergab
gehen. Und in den nächsten fünf Jahren wird sich das Filmgeschäft in
den USA sehr stark verändern. Nicht zuletzt durch digitale
Projektionsmöglichkeiten werden die großen Studios werden an Einfluß
verlieren und die Independents werden, weil ihre Lage immer schwieriger
wird, sich auch neue Wege suchen müssen. Viel Neues entsteht ja aus
Krisen, daher könnte das sehr spannend werden.
Zurück zu "Traffic". Wie
kam es denn zu dieser Star-Besetzung, obwohl Sie soviel Gegenwind hatten?
War das, um dem Film auch einen kommerziellen Erfolg zu sichern?
Michael, Catherine und Benicio waren die ersten drei, die wir
angesprochen haben und sie haben zugesagt, weil es auch für sie etwas
Ungewöhnliches war. Catherine war gerade schwanger und wollte erst nicht,
wir schrieben ihr die Rolle aber um und nahmen das Risiko kurzfristiger
Änderungen gerne in Kauf.
Als wir beschlossen, das Projekt anzugehen, war mir klar, daß ich so
viele Stars wie möglch in dem Film haben wollte. Denn ich wußte, daß
das Thema alleine viele Zuschauer nicht ins Kino locken würde. Wenn diese
Stars mitspielten, würden sie aber doch kommen und sich auch auf das
Thema einlassen. Außerdem dachte ich, wäre es auch interessant, solche
Stars einmal in dieser Art von Ästhetik zu sehen.
Der Drehbuchautor hat neulich in einem
Interview von eigenen Drogenerfahrungen berichtet. Haben Sie beim Drehen
des Films von seinen Einblicken profitiert?
Natürlich haben wir im Lauf der Arbeit darüber gesprochen,
allerdings vor allem in Bezug auf das Drehbuch, im Zusammenhang mit dem
Charakter der Tochter. Wie kann man diese Rolle gestalten? Wie kann man
rüberbringen, daß Streber genauso anfällig sind für dieses Problem wie
alle anderen auch. Mit der Tochter wollten wir zeigen, daß Drogen ein
Thema sind, das über Klassenschranken und Einkommensunterschiede
hinweggeht.
Konnten Sie bei der Gestaltung der
Drogenszenen auch auf eigene Drogenerfahrungen zurückgreifen?
Kokain und Heroin habe ich nie genommen, alles andere habe ich
probiert.
Sie erwähnten vorhin Ihr neues
Projekt. Könnten Sie zum Schluß etwas mehr dazu sagen? Was wird das für
ein Film, wer wird mitspielen?
"Ocean's Eleven" heißt der Film, den wir am Sonntag
beginnen. Das ist ein Remake eines Films aus den 60er Jahren, der von
einer Theatergruppe, die sich "The Red Pack" nannte, erzählt.
Wie gesagt etwas Leichteres, es geht aber auch um einen Raub. Das Drehbuch
las ich vor ungefähr einem Jahr und war sehr angetan. Mitspielen werden
George Clooney, Brad Pitt, Matt Damon, Julia Roberts, Andy Garcia, Bill
Murray und noch einige andere.
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