BERLINALE, Tag 1

 

Mord ist Entertainment
(6.2.2003) Mit dem Musical "Chicago" wurden die 53. Filmfestspiele in Berlin eröffnet.

Von Hartmut Burggrabe


"Shoot films, not people!" Diese Formel hatte Berlinale-Chef Dieter Kosslick einige Tage vor dem Festival als inoffizielles Motto ausgegeben. Angesichts der angespannten weltpolitischen Lage verspricht der Blick in das Programm und die Ankündigung der Leitung, jederzeit mit Sonderveranstaltungen auf einen losbrechenden Krieg reagieren zu können, tatsächlich eine nachdenklichere, ernstere Berlinale.
Den Spaß, das 'Fest', schob Kosslick nach, wolle man sich dennoch nicht nehmen lassen. Ein Eröffnungsfilm wie dieser wäre sonst auch völlig unangebracht gewesen. "Chicago" heißt der Streifen, schon in den ersten Minuten fällt der erste Schuß, es geht um Mörderinnen und einen Staranwalt, um das Chicago der 1920er Jahre - und um Musik! "In dieser Stadt ist Mord Entertainment", sagt Richard Gere als Anwalt Flynn einmal zu einer Mandantin. Nicht Schuld oder Unschuld ist da die Frage, sondern die Popularität der Angeklagten. Im Mordtrakt des Frauengefängnisses führt eine äußerst zeitgemäße Aufseherin Regiment: Gegen Geld und Gefälligkeiten vermittelt sie ihren Unterwiesenen Kontakte in die glamouröse Nachtwelt der Stadt. Denn das ist der Traum der jungen Frauen - nach einem Freispruch als neuer Star am Himmel der Revuen und Cabarets aufzusteigen. Unrealistisch? Nein - denn wir sind in einem Musical. Regisseur Rob Marshall hat das erfolgreiche Broadwaymusical mit gleichem Namen zur Vorlage genommen und es, zum Teil kühn, in ein Leinwandfeuerwerk verwandelt. Im Mittelpunkt steht Roxie (Renée Zellweger), die, reichlich naiv, schon vor ihrer Gefängniszeit vom Starruhm träumt und ihren Liebhaber, als seine versprochenen Kontakte ins Milieu sich als Bluff herausstellen, kurzerhand erschießt. Im Knast trifft sie auf die verehrte Velma Kelly, die große Tänzerin der Stadt (Catherine Zeta-Jones), die ebenfalls unter Mordverdacht verhaftet wurde. Leiden können sich die beiden nicht - immer läßt diejenige, die gerade Oberwasser hat, die andere arrogant abblitzen, was natürlich, soviel ist sicher, nicht auf Dauer gutgehen kann.
Durch die Vermittlung der Aufseherin gerät Roxie an Staranwalt Flynn, der eine Erfolgsquote von 95 Prozent vorzuweisen hat, was bei drohender Todesstrafe doch Einiges wert ist. Sein ungewöhnliches Konzept: Der Mandantin durch rührende Geschichten eine große Publicity verschaffen, Mitleid und Beliebtheit, so daß die Sympathie der Stadt schließlich voll auf Seiten des Starlets sind und die Jury kaum anders entscheiden kann als auf Freispruch. Nun ist so eine Kampagne leichter gesagt als getan, und es soll an dieser Stelle noch nicht viel verraten werden. Erwähnt werden sollte aber, daß - wir sind ja in einem Musicalfilm - in dieser Geschichte viel getanzt, geglänzt, gesungen und gesteppt wird: alle paar Filmminuten vermischen sich Realität und Traumwelt - besonders Roxie driftet leicht in diese Welt der Musik, selbst wenn ihr Anwalt im Moment nur seine weitere Strategie erklärt, selbst wenn eine Mitgefangene (eine Art Hollywood-Version von "Dancer in the Dark") gehängt wird; selbst in der finalen Gerichtsverhandlung. Nach einem etwas lahmen Anfang beginnt "Chicago" irgendwann zu swingen, zu vibrieren, zu beben. Die drei Stars (Zellweger, Gere und Zeta-Jones) wirbeln durch diesen Film, und Regisseur Marshall hat das Bühnenmusical gekonnt und virtuos auf Zelluloid gebannt. Auf der Berlinale-Pressekonferenz beteuerte Richard Gere, die Dreharbeiten zu "Chicago" seien die bisher besten in seiner immerhin nicht gerade kurzen Laufbahn als Schauspieler gewesen. Renée Zellweger, mit "Bridget Jones" berühmt geworden, konnte ihr Glück, nun in dieser 'Liga' mitzuspielen - sie erhielt für "Chicago" gerade einen Golden Globe als Beste Schauspielerin - wohl immer noch nicht ganz fassen. Immer wieder führte sie aus, wie "un-be-lievable!" die Zusammenarbeit mit Marshall, Zeta-Jones und Gere gewesen sei. So sehr betonten die Mitwirkenden die großartige Chemie, daß beim Zuhörer schon wieder Zweifel aufkamen. Dem Film selbst tat das natürlich keinen Abbruch: Solide, immer wieder auch packende Unterhaltung bot "Chicago" - und ein erstes Schaulaufen auf dem Roten Teppich in Berlin. Wie es sich für einen Auftakt gehört: das Gewicht kommt erst noch.

Zum Berlinale-Überblick...

 

Chicago
von Rob Marshall - USA 2002, 116 min

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mit Renée Zellweger (Roxie Hart), Catherine Zeta-Jones (Velma Kelly), Richard Gere (Billy Flynn), Queen Latifah ("Mama" Morton), John C. Reilly (Amos Hart) u.v.m.

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