KRITIK

Lundi Matin
"Lundi Matin - Montag morgen" von Otar Iosseliani

Lundi Matin, Montagmorgen. Aber eigentlich ist das egal. Es könnte genauso gut jeder andere Tag sein. Ein Mann steht auf und fährt zur Arbeit. Gleich in den ersten Bildern tun sich Abgründe von Alltagstrott auf, eingespielte Abläufe, die sich bis ins kleinste von Tag zu Tag wiederholen. Wortlos begegnet der Mann seiner Frau, mit der ihn vor allem der ebenso gleichgültige Gesichtausdruck zu verbinden scheint. Vor der Haustür steht ein Paar Gartenschlappen bereit, in die der Mann steigt. Er geht bis zum Auto, dort stellt er sie, genauso ordentlich, wieder ab und schlüpft in seine Tagesschuhe. Er läßt das Auto an, grüßt im Losfahren den benachbarten Bauern, der im Traktor vorbeifährt. So folgen wir dem Mann in seinen Tag. Mit dem Bus in die Fabrik, Rauchverbot im Bus, Rauchverbot in der Fabrik, und alle tragen sie dieses gleichgültige Gesicht. Selten werden Worte gewechselt, in der Fabrik und überhaupt in diesem Film. Alles läuft vor sich hin - unspektakulär, wenig aufregend, aber sehr genau beobachtet. Der Mann, seine Frau, die zwei Söhne, alle leben ein Inselleben, jeder für sich, einsam, jeder ist eine eigene Welt ohne große Kontakte untereinander. Allein die Großmutter, die im selben Haus wohnt, empfängt Freundinnen und hat einen Draht zu den Enkeln. Sonst schweigt man sich meistens an in diesem Dorf.
Am nächsten Tag beginnt das Ganze von vorne. Wieder die Schlappen, die Monotonie, der Pendelzug, der Bus. Aber der Mann - läßt das Fabriktor wieder zugehen, drückt seine Zigarette nicht im extra aufgestellten Kippensammler aus. Stattdessen raucht er weiter, schlendert langsam wieder zurück. Ein Ausbruch. So unspektakulär, wie ein Ausbruch nur aussehen kann, und doch kraftvoll.
Im Dorf geht der Alltag derzeit weiter, weniger gleichförmig als vermutet. Wir folgen mal dem Sohn, mal dem Nachbarn, mal der Großmutter, und schauen ihnen so lange zu, daß wir den Mann schon fast vergessen. Was wird er nun machen? Auch er scheint es nicht zu wissen. Nur nach Hause geht er nicht, das ist klar. Wir sehen ihn in einer Kneipe in der Stadt, dann stattet er seinem Vater einen Besuch ab, er will reisen. Weg! Raus! Wohin auch immer. Jetzt erfahren wir auch seinen Namen: Vincent. Daraus wird bald Vincenzo, denn er entscheidet sich für Venedig. Die seltsame Stadt, nicht fern und doch halb aus der Wirklichkeit. Vincent läßt sich durch die Gassen und Kanäle treiben, und wie es sich gehört, lernt er schon bald lebenslustige Venezianer kennen. Carlo schippert ihn durch die Stadt, schwärmt ihm vom Geist Venedigs vor - und fährt allmorgends in die grauen Vorstädte, um in der Fabrik zu arbeiten.
Otar Iosseliani stellt die Geduld der Zuschauer manchmal sehr auf die Probe. Ganz langsam wird Vincents Geschichte erzählt, mit Nebensträngen, die bisweilen ausufern - und damit vermittelt der Regisseur genau das Gefühl, daß Vincents Leben bestimmen muß. Das Leben ist nun mal kein Actionfilm, und den dichten roten Faden, den wir im Kino so oft so schön vorgesponnen bekommen, ihn gibt es in Wirklichkeit nur selten. Dennoch verfolgt man stets gespannt, wie es Vincent weiter ergeht. Und bei allem blitzt immer wieder ein geistreicher Humor durch und ein herrlicher Sinn für Skurrilitäten.
Vincents Entscheidung am Ende überrascht dann doch. Geklärt ist damit nichts. Wie es eben oft ist im Leben. Es gibt keinen Anfang und keinen Endpunkt. Auch auf eine Moral, die sich - wie auch immer geartet - bei diesem Thema fast aufdrängt, wartet man vergeblich. Irgendwann gibt es wohl wieder einen Montagmorgen. Anders und doch gleich.
Hartmut Burggrabe

Interview mit Regisseur Otar Iosseliani

 

Lundi Matin - Montag Morgen
von Otar Iosseliani - F/I 2002, 120 min

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mit Jaques Bidou (Vincent), Arrigo Mozzo (Carlo), Anne Kravz-Tarnavsky (Vincents Frau), Narda Blanchet (Seine Mutter) u.a.

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