KRITIK

Liebe neben der Spur
P.T. Andersons "Punch-Drunk Love"

Der Anfang ist gleich am stärksten. Ein junger Mann in knallblauem Anzug und Krawatte tritt morgens vor die Tür der Werkstatt, einen Joghurtdrink in der Hand. Es ist still, kaum Verkehr im Gewerbegebiet. Eben hat der Mann mit seinem Telefonpartner über die Gültigkeit von Sammelpunkten einer Puddingkampagne verhandelt. Es ist still. Plötzlich, wie nebenbei, gerät ein einsam näher kommendes Auto aus der Bahn, fliegt durch die Luft, überschlägt sich, landet scheppernd auf dem Dach. Und wieder still. Der Mann in Blau erschrickt kurz, hält mit dem Trinken inne. Ist das eben wirklich passiert? Im nächsten Augenblick rauscht ein Kleintransporter direkt vor seiner Nase vorbei, im Fahren stellen zwei Männer ein Klavier aus der Seitentür an den Straßenrand, und weg sind sie wieder. Ein Klavier? Der Mann geht langsam näher, trinkt wieder einen Schluck.
Eins ist klar: Das Leben läuft hier nicht in der gewöhnlichen Spur. Etwas ist hier anders, in diesem Film. Es ist der neue Film von Paul Thomas Anderson, der schon in „Magnolia“ das Magische im Alltäglichen aufsp
ürte, Zusammenhänge herstellte, wo auf den ersten Blick nur Zufall im Spiel war. Wieder springt der Film immer wieder ins Surreale, Skurrile, und dreht sich doch um eine, von außen betrachtet, ziemlich „durchschnittliche“ Existenz: Barry, gespielt von Adam Sandler, ist eben dieser Mann, der seit neuem immer im blauen Ausgehanzug herumläuft, obwohl er doch in einer irgendwie mechanischen Werkstatt arbeitet. Autos werden hier repariert, aber auch seltsame Röhren hergestellt. Barry ist, nun ja, ein bisschen einfach – man könnte auch sagen, er denkt und erlebt anders. Seine Umwelt, allen voran seine sieben ebenfalls erwachsenen Schwestern, die ihn bevormunden und ihn mit Verkupplungsversuchen bedrängen, halten ihn für nicht ganz richtig im Kopf. Vielleicht, weil Barry manchmal spontan ausrastet und die Scheiben eines schicken Appartements einschlägt oder eine Restauranttoilette demoliert. Aber Barry weiß, er ist eigentlich nicht so. Manchmal muß er plötzlich losweinen – auf der anderen Seite gibt es da diese Sache mit den Pudding-Sammelpunkten. Barry kauft diesen Pudding palettenweise, um eines Tages so viele Flugmeilen dafür zu bekommen, daß er sein Leben lang nur noch reisen kann. Barry hält sich für richtig clever. Erstmal wird er aber kräftig übers Ohr gehauen. Als er bei einer Sexline anruft, fällt er auf eine Erpresserclique rein. Das Telefongirl terrorisiert ihn in der Folge mit Anrufen, verlangt Geld, nutzt seine Kreditkartennummer. Als Barry, der die Erpresserin etwas naiv mit moralischen Argumenten von ihren Plänen abbringen will, erhält er unangenehmen Besuch von einem Schlägertrupp. Barry gerät immer tiefer in den Schlamassel, wirklich aus der Bahn werfen kann ihn das aber nicht. Denn an dem Tag, der mit dem fliegenden Auto und dem mysteriösen Klavier beginnt, taucht Lena in seinem Leben auf. Lena ist geheimnisvoll, ist schön und ist schon vor der ersten Begegnung verliebt in Barry. Eine leise, zauberhafte Liebe entsteht, in der Barry zwar immer wieder an seiner plötzlich aufkommenden Tumbheit verzweifelt, die ihn aber auch beflügelt und stark macht. Stark macht, sich von den Erwartungen und vom Belächeltwerden der anderen, der Schwestern, der ‚Normalen’ zu befreien; stark macht, die Füße ins Leben zu stellen und sich Schwierigkeiten zu stellen, vor denen er sich sonst längst verkrochen hätte.
Nun ist dieses Motiv, eine Liebe, die die Liebenden über sich hinauswachsen lässt, nicht gerade neu. Wie Anderson aber diese Geschichte erzählt, das ist über weite Strecken originell. „Punch-Drunk Love“ ist nicht einfach eine Komödie, bei der es schließlich allen Guten gut geht und den Bösen an den Kragen. Keine Liebesgeschichte, die wie so oft das besonders Liebenswerte naiverer Menschen heroisiert. Nein, unzählige schräge Situationen, ungewöhnliche Dialoge und die frischen Hauptdarsteller – Adam Sandler als Barry und die bezaubernde Emily Watson - lassen Barry und seine Geschichte permanent neben der Spur laufen, im besten Sinne. Ein Meisterwerk wie „Magnolia“ ist „Punch-Drunk Love“ damit nicht geworden, 100 anregende, kurzweilige Minuten aber schon.
Guido Schenkel

www.punchdrunklove-derfilm.de 

 

Punch-Drunk Love
von P.T. Anderson - USA 2002, 97 min

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mit Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymour Hoffman, Luiz Guzmán, Mary Lynn Rajskub, Ashley Clark u.a.

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