KRITIK

Das Leben ist eine Pizza
"Solino" von Fatih Akin

"Aber was ist denn wichtig im Leben?" fragt der kleine Gigi den gefeierten Regisseur, der gerade für Dreharbeiten in der Stadt ist. Der Mann mit dem Hut auf der grauen Künstlermähne hebt bedeutsam die Stimme: "Lebe dein Leben mit Feuer und Leidenschaft!"
Die Stadt, das ist Duisburg. Dorthin verschlägt es Familie Amato Anfang der 60er Jahre. Schweren Herzens verlassen Rosa und Romano mit ihren beiden kleinen Söhnen das heimatliche Solino, eine kleine süditalienische Stadt, in der der Bahnhofsvorsteher sich schon mal eine Viertelstunde weigert, die Schranke herunterzukurbeln - damit sich alle Reisenden auch gebührend verabschieden können. Geht es jetzt ins gelobte Land?
Der Gegensatz könnte zunächst größer kaum sein. Die Familie bezieht in der tristen Ruhrpottstadt eine noch tristere Wohnung. Die Treppenhaustoilette teilt man sich mit den Nachbarn, Romano macht die Arbeit im Bergwerk zu scha
ffen, und dazu spricht alle Welt eine Sprache, die besonders die Erwachsenen zunächst nicht verstehen. Das ändert sich nur langsam, als Rosa die geniale Idee kommt, die erste Pizzeria des Ruhrgebiets zu eröffnen.
Ganz anders die Kinder: Gigi und Giancarlo fassen schnell Fuß, finden erste Freundschaften - und schon früh zeichnet sich ab, was später zwischen den Brüdern seinen Lauf nehmen wird: Streit um Erfolg. Bei den Frauen. Und im Beruf. Gigi fällt das Glück meistens zu, während Giancarlo stets das Nachsehen hat. Sowas hinterläßt auf Dauer Spuren. Aus den Brüder-Freunden werden schließlich Rivalen. Gigi bekommt die Traumfrau der beiden, Giancarlo gibt sich dafür geschickt als Gigi aus, als dieser für seinen ersten Film einen Preis abräumt. Und dann gibt es ja noch den Konflikt mit den Eltern. Und ein Wiedersehen mit Solino...
Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten - nur eins: was in der Kürze etwas sehr problembeladen wirken mag, ist es im Film nicht wirklich. Denn Fatih Akin, der Jungmeisterregisseur aus Hamburg ("Kurz und schmerzlos", "Im Juli"), nimmt sich viel Zeit für seine Figuren, für die Entwicklungen. Episch und gelassen erzählt "Solino" auf mehreren Ebenen seine Geschichte, große Kinobilder sind das, die klassisch italienische Filmatmosphäre klingt an (man denkt nicht nur beim apulischen Dorfkino an Tornatores "Cinema Paradiso") - und natürlich geht es auch um die Liebe, Sehnsucht, Lebensträume; um das Heimweh der Alten und die Rebellion der Jungen (Feuer und Leidenschaft!). Und wie bei Fatih Akin nicht anders zu erwarten, gibt es zwischendurch viel zu lachen, wird der stellenweise anrollende Pathos immer wieder mit einem Augenzwinkern in Leichtigkeit gewendet. Die eine oder andere Länge fällt da kaum ins Gewicht. Viel mehr beeindrucken die Schauspieler: Barnaby Metschurat als Gigi und ein wieder mal fabelhafter Moritz Bleibtreu, diesmal in der Looser-Rolle des Giancarlo, geben ihren Figuren lakonisch die nötige Intensität. Die sonstigen Italiener sind wirklich mit Italienern besetzt, treffend: Gigi Savoia etwa als Vater, Antonella Attili als Mutter. Einzig irritierend ist das mit der Sprache: gedreht wurde zwar überwiegend auf Italienisch, in den meisten deutschen Kinos läuft aber eine synchronisierte Fassung, in der dann also die Italiener zwischen fließendem Deutsch (eigentlich Italienisch!) und gebrochenem Deutsch (hier auch im Original Deutsch) hin- und herwechseln.
Ansonsten aber: ein schöner, ein ruhiger, mal leichter, mal melancholischer Film, für Freunde südlicher Atmosphäre ein Muß, allen anderen kann es Appetit machen. In jedem Fall eine Fabel über die großen Themen des Lebens. Konventionelles Erzählkino, mag sein - aber herzerwärmend!
Fabian Thommsen

 

Solino
von Fatih Akin - BRD 2002, 202 min

°°°°

mit Barnaby Metschurat, Moritz Bleibtreu, Antonella Attili, Gigi Savoia, Patrycia Ziolkowska, Tiziana Lodato u.a.

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