Die
Liebe in Zeiten des Komas
"Sprich mit ihr" von
Pedro Almodóvar
"Ich denke, daß Situationen voll unerwarteter, außerordentlicher Schönheit
einen zu Tränen rühren können. Tränen, die mehr mit Schmerz denn mit Lust
zu tun haben. Tränen, die in unseren Augen die Lücken derjenigen füllen,
die abwesend sind."
Pedro Almodóvar

Wer Pedro Almodóvars "Alles über meine Mutter" gesehen hat, kennt sie, die
feine Melancholie, die erhebende Sehnsucht und die plötzlichen Anflüge von
Wesentlichkeit, die einen als Zuschauer im Kino erfassen können, wenn man
einen Film des spanischen Regisseurs erlebt. Dialoge, Blicke, Bilder,
Musik lassen eine Atmosphäre von solcher Dichte und doch fast
schmerzlicher Leichtigkeit entstehen, daß es einem immer wieder den Atem
nimmt. Almodóvar, einst spanischer Bürgerschreck, befindet sich nach 13
Filmen und mit 50 Jahren auf dem Weg in sein Alterswerk, von
Verbrauchtheit oder abgenutzter Kreativität ist aber keine Spur, ganz im
Gegenteil. Zwei Jahre nach "Alles über meine Mutter", der mit Preisen
überschüttet wurde (u.a. einem Oscar als bestem fremdsprachigen Film), hat
Almodóvar wiederum ein leises Meisterwerk geschaffen: "Sprich mit ihr" (Hable
con ella), jetzt in den deutschen Kinos. Die Handlung ist schnell
umrissen, und trifft doch nur die Oberfläche des Films: Marco, Journalist
und Autor von Reiseführern, lernt bei einer Recherche die Stierkämpferin
Lydia kennen und bald auch lieben. Tatsächlich beginnen die beiden,
zusammen zu leben, eines Tags aber wird Lydia bei einem Stierkampf
lebensgefährlich verletzt und liegt fortan im Koma. Marco besucht die
Geliebte täglich im Krankenhaus und lernt dabei Benigno kennen, die andere
Hauptfigur des Films. Benigno ist Krankenpfleger und kümmert sich seit
vier Jahren um eine andere Komapatientin – Alicia, in die sich der
schüchterne junge Mann schon vor deren Unfall verliebt hatte. Mehr und
mehr steigert er sich in seine Liebe zu Alicia hinein, die ihn allerdings
bei Bewusstsein nicht mehr kennengelernt hat. Er erzählt ihr sein Leben,
erzählt ihr Bücher und Filme, auch wenn er von den Kollegen im Krankenhaus
dafür belächelt wird. Zwischen Marco und Benigno entwickelt sich etwas wie
eine Freundschaft – eine ungewöhnliche Freundschaft, leben sie doch beide
„mit“ einer Frau, die gleichzeitig anwesend und abwesend ist, einer Frau,
die vor allem in ihrer Erinnerung lebendig ist, die jeden Moment oder auch
nie wieder aufwachen kann. Neue Schwierigkeiten kommen hinzu: Lydias
Zweit-Liebhaber, von dem Marco nichts weiß, taucht im Krankenhaus auf; und
Benigno sehnt sich immer stärker auch nach körperlicher Erfüllung seiner
Liebe zu Alicia.
Ein Melodram? Eine Tragödie? Stellenweise auch eine Komödie? Almodóvar,
seinem Kameramann Javier Aguirresarobe und dem großartigen Filmkomponisten
Alberto Iglesias gelingt es, dem Zuschauer (zumindest dem Autor dieser
Kritik ging es so) Augen und Herz, Kopf und Seele zu öffnen. Immer wieder
gibt es sie, die Momente "unerwarteter, außerordentlicher Schönheit", die
einen zu Tränen rühren - und dies nicht losgelöst und um ihrer selbst
willen, nicht als gut bebilderte Unterhaltung, sondern indem der Film
berührt, bestürzt, zum Lachen bringt, anstößt und einen noch Stunden, Tage
danach bewegen kann – ohne dabei ins Kitschige abzugleiten. Die
großartigen Schauspieler tun ein Übriges und machen mit kaum merklichen
Blicken, Gesten, Veränderungen in der Stimme ganze Seelenlandschaften
sichtbar. Dazu gibt es, nebenbei bemerkt, zwei Choreographien von und mit
Pina Bausch, einen Live-Auftritt des brasilianischen Musikers Caetano
Veloso - und mitten im Film eine höchst ungewöhnliche Stummfilmsequenz zu
sehen.
Wenn man sich das alles dann auch noch in Spanisch mit Untertiteln
anschaut (das sei hiermit unbedingt empfohlen), kann man sich dem Zauber
wohl kaum entziehen.
Hartmut Burggrabe
Sprich mit
ihr (Hable con ella)
von Pedro Almodóvar - Spanien
2002, 116 min |
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mit Javier
Cámara (Benigno), Darío Grandinetti (Marco), Leonor Watling
(Alicia), Rosario Flores (Lydia), Geraldine Chaplin (Katerina Bilova)
und als Gast Pina Bausch |
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