Zwischen Leben und Traum
Ein surrealer, betörender Film
aus Frankreich: "Love me" von Laetitia Masson
Von Hartmut Burggrabe
"Die unmögliche Geschichte einer Frau, die nach
Liebe sucht und einem Sänger, der nicht mehr an Liebe glaubt. Er ist ihr Idol, seit sie sich erinnern
kann. Sie folgt ihm nach Memphis, USA. Er entzieht sich ihr. Sie gibt nicht auf. Und am Ende empfindet
er etwas für sie. Aber.. es ist auch die Geschichte einer jungen Frau, die allein ist und sich in ihre
Träume flüchtet, um der Wirklichkeit und der eigenen Vergangenheit zu entfliehen. Und so wird
die Geschichte zwischen der Frau und dem Sänger komplex... Wo hört die Wirklichkeit auf und wo beginnt die Imagination?"
Soweit der Pressetext.
Kino ist subjektiv. Das gilt immer, für diesen Film aber besonders stark. Hier ist es
vorstellbar: ein Gespräch zwischen zwei Menschen, die aus der selben Vorstellung
kommen und zwei völlig verschiedene Filme erlebt haben.
"Love me", der dritten Teil einer Trilogie von Laetitia Masson (nach "Haben (oder
nicht)" und "Zu verkaufen"), ähnelt am ehesten dem Träumen. Zum einen in der Form:
Es gibt Sprünge und Brüche, Wiederholungen; Verknüpfungen scheinen ohne Logik.
Auf eine Handlung läßt sich dieser Film nicht verkürzen. "Love me" kreist um eine junge
Frau namens Rose - ihr Leben, ihr Träumen, ihr Lieben, ihre Sehnsucht. Zu Beginn
meint man als Zuschauer noch, es mit einem "normalen", wenn auch etwas
abgedrehten Film, zu tun zu haben. Die Frau tritt im Morgenmantel aus einem
Wohnwagen am Strand wie auf eine Bühne, ein Rock'n'Roll-Song erklingt, die Frau
tanzt, das ganze Lied durch, ihren Blick direkt in die Kamera gerichtet. Das Lied ist zu
Ende, die Frau verbeugt sich, nun sehen wir: vor ihr nur Sand und das Meer.
Auf mindestens drei Ebenen ist die Frau zu erleben: in ihrer Existenz im Wohnwagen
am Meer, dann einige Jahre jünger als Mädchen, das aus einem Kinderheim entführt
wird und im Leben der erwachsenen Frau immer wieder aufkreuzt, um mit sich selbst
ins Gespräch zu treten. Und schließlich wieder als Erwachsene, nun allerdings in
Memphis, wo sie in einem Nachtclub eine gealterte Rock'n'Roll-Legende kennenlernt:
den Mann, in den sie seit ihrer Jugend verliebt ist. Das gewohnte Sehbedürfnis, jeden
Szenenwechsel in das bisher Gesehene einzuordnen, funktioniert bei diesem Film nicht.
Man legt es mit der Zeit ab, und das lohnt sich.
Keiner der sich gegenseitig überlagernden Stränge - so habe ich es erlebt - ist
eindeutig dem realen Leben oder einer Traumwelt zuzuordnen. Vielmehr ist es Laetitia
Masson mit diesem Film gelungen, das sicher jedem vertraute Zusammenspiel von
Wirklichkeit und Tagträumen, von äußerer und innerer Welt in Filmbilder und Klänge
einzufangen, die melancholisch, farbenfroh, leicht, berührend, erschreckend,
verzaubernd sein können und die mit dem Zuschauer weit mehr anstellen als ihm bloß
eine weitere Geschichte vorzustellen. Die kleine, aber eben entscheidende Schwelle,
die einen für gewöhnlich hindert, spontan alles Eingespielte, Wohlarrangierte einfach
abzulegen, sich ganz auf Zufälle, Eingebungen, Ideen einzulassen - diese Schwelle
überschreitet Rose. Ihr Zustand: hochklar, sternenwach, frei, einsam - alles kann aber
auch jeden Augenblick zusammenbrechen.
Sandrine Kiberlain in der Hauptrolle ist ein Bündel an Intensität, Schauder, Liebe,
Zerbrechlichkeit - mal traumwandelnd, mal verschlossen, sie hat viele Gesichter.
Wenn man als Zuschauer den Schritt mittut, nicht mehr distanziert eine Handlung zu
verfolgen, sondern sich auf die Bilder, die Musik, die Eindrücke einzulassen, ist der Film
betörend.
Vielleicht erleben Sie ihn aber auch völlig anders...
LOVE ME
von Laetitia Masson
Frankreich 1999, 105 min |
°°°°° |
mit Sandrine
Kiberlain, Johnny Hallyday, J.F. Stevenin, Aurore Clement, Anh Duong,
Julie Depardieu, Julian Sands |
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