KURZKRITIK

Der Himmel über Turin
"Heaven" von Tom Tykwer (ab 21.2.02)

Die Erwartungen sind groß. Tom Tykwer, der mit "Lola rennt" nicht nur in Deutschland, sondern in zahlreichen anderen Ländern, nicht zuletzt in den USA Aufsehen erregte - einen Independent-Hit landete - dieser Tom Tykwer aus Berlin dreht nun also seine erste internationale Koproduktion: unter Mitwirkung von Hollywood, mit internationalen Schauspielern, Drehort Italien, und mit einem hinterlassenen Drehbuch des vor wenigen Jahren gestorbenen polnischen Kultregisseurs Kieslowski (Drei Farben-Trilogie). Dieses Werk, "Heaven", durfte dann auch die Internationalen Filmfestspiele in Berlin eröffnen. Die Erwartungen sind groß.
Ist das Wagnis gelungen? "Heaven" erzählt von der jungen Lehrerin Philippa in Turin, die aus Verzweiflung über die Untätigkeit der italienischen Polizei gegenüber dem Drogenboß der Stadt schließlich zur Selbstjustiz greift. Ihren Mann hat sie durch Drogen verloren, viele ihrer Schüler befinden sich auch schon am Abgrund. Also sucht sie, und damit beginnt der Film, Signore Vendice, den Herrn der Drogen, in seiner als Software-Imperium getarnten Firma auf, deponiert eine Bombe in seinem Büro - und erfährt, als sie am nächsten Tag festgenommen wird, daß der Plan schiefging: Vendice lebt, dafür starben vier Unschuldige, darunter zwei Kinder. Philippa ist erschüttert. Es folgen zermürbende Polizeiverhöre, und schnell wird klar, daß die Polizei-Oberen mit Vendice gut 'zusammenarbeiten'. Keiner glaubt Philippa, alle Spuren ihrer jahrelangen Anrufe und Eingaben und Bitten sind verschwunden. Einzig der unauffällige Jungpolizist, der als Protokollant und Übersetzer den Verhören beiwohnt, glaubt der Lehrerin, möchte ihr glauben - verliebt sich in die Angeklagte. Er verhilft Philippa zur Flucht. Sein Plan, recht naiv, glückt dennoch, und die beiden fliehen gemeinsam aus der Stadt, hinaus in die Toskana. Philippa und Filippo. Wir wollen hier nicht verraten, wie das Ganze endet, große Überraschungen gibt es ab jetzt aber nicht mehr.
"Heaven" ist vor allem eins: seltsam. Vom ersten Verhör an ist klar: diese beiden, der Polizist und die Terroristin, sie gehören zusammen in dieser Geschichte. So wartet man den ganzen auf Spannung erzählten ersten Teil ab, ob die Befreiung gelingt, ob sie zusammenkommen. Sind sie es dann, könnte es also endlich losgehen, passiert nicht mehr viel. Einige etwas lebensfern-überhöhte Gespräche werden gewechselt, die eingefärbte Toskana-Landschaft tut ihr übriges zur Surrealität. Aber warum etwa Philippas Einstellung zu Filippo schließlich kippt, bleibt im Dunkeln. Das ist schade. Dann die Bilder: Tykwers Kameramann Frank Griebe liefert seine gewohnt elegante Kinooptik, mit porentiefen Nahaufnahmen, mit großen Schwenks und Fahrten - und als das Duo in die Toskana kommt, geht einem erwartungsgemäß das Herz auf. Am Ende bleibt aber der Eindruck, daß in "Heaven" viel Interessantes, Spannendes, Treffendes angelegt ist, vieles davon aber nicht genau genug ausgeführt wurde - daß etwa die Nähe zu Philippa im ersten Teil von den Cinemascope-Bildern eher konterkariert wird; daß dem Paar gegen Ende des Films von den aufwendigen Bildern mehr Mystik und Bedeutsamkeit unterstellt wird als es wirklich ausfüllen kann. So zerfällt der Film.
Es gibt sie, die magischen Momente, aber: etwas weniger Technik und etwas weniger Pathos, dafür etwas mehr Rauheit - das hätte dieser Geschichte, diesen Personen gutgetan. Vielleicht muß Tom Tykwer seinen Stil für solch groß angelegten Rahmen erst wieder finden.
Dennoch gehört "Heaven" zu den Filmen, die es sich lohnt, anzuschauen. Nicht zuletzt wegen der wirklich überzeugenden Cate Blanchett als Philippa.
Hartmut Burggrabe
 

Heaven
von Tom Tykwer - BRD/USA/F 2001,  95 min
Musik: Arvo Pärt, Tom Tykwer

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mit Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone, Stefania Rocca, Alessandro Sperduti, Mattia Sbragia u.a.

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