KURZKRITIK

Dasein und doch nicht mehr da sein
"Iris" von Richard Eyre

Immer deutlicher zeichnet sich im Kino ein neuer Trend ab: Filme über Menschen im Alter häufen sich, über Menschen, die zumindest die körperliche Blüte ihres Lebens hinter sich haben und doch oft noch eine große Welt vor sich, in sich. Eine Lebenswelt wird für die Leinwand entdeckt, die der sonst so auf die Jugend als Zielgruppe und das Jungsein (oder Jungscheinen) als Ziel fixierten Gegenwart entgegenläuft. Filme wie Francois Ozons 'Unter dem Sand', 'In the Bedroom' etwa gehören dazu - und Richard Eyres 'Iris'.
Iris Murdoch, Schriftstellerin und philosophische Koriphäe, die mit ihrer geistigen und sprachlichen Brillanz nicht nur Generationen von Studierenden begeistert, erkrankt an Alzheimer. Wie die Krankheit nach und nach Land gewinnt, unaufhaltsam siegen muß, wie Iris Stück für Stück aus der Welt der anderen entgleitet, aus der Welt der Kommunikation, der Sprache, die für sie doch so elementare Bedeutung hatte; wie in Iris' Umfeld jeder, besonders ihr Mann John, das Beste für sie versucht und doch selbst überfordert ist von der Härte und Unausweichlichkeit dieses Schicksals - all das zeichnen Regisseur Eyre und die Hauptdarsteller einfach brillant. Der Film kommt tatsächlich ohne Klischees aus, für die diese Geschichte in einem mittelmäßigen Hollywooddrama viel Stoff geboten hätte. Stattdessen entsteht ein sehr differenziertes Bild, eine präzise Zeichnung, die bedrückt, erschüttert, ohne aber zu überrrumpeln. Neben Iris, die von Judi Dench in kleinen Gesten und minimaler Mimik grandios verkörpert wird, ist ihr Mann John die zweite Hauptperson. Ihm, der in all den Jahren der Beziehung eigentlich der 'Schwächere' war, der Bewunderer, der trotzdem ohne Herablassung von Iris geliebt wurde, an und mit ihr wuchs, ihm entgleitet Iris nun Stück für Stück. Die starke Verbindung, die vor allem auf geistiger Ebene stattfand, zieht sich auf andere Dimensionen zurück. In raffiniert eingestreuten Rückblenden sich John an viele Momente des zurückliegenden Lebens, Momente mit Iris, oft kleine Momente, wie etwa, als die junge Iris im Pub zu singen beginnt oder das gemeinsame Schwimmen im Fluß. Johns Verzweiflung, die er sich nicht anmerken möchte, wird zugleich gestillt und verstärkt durch die wärmenden Erinnerungen an gemeinsame Tage und Stunden. Das ist nicht nur erzählerisch brillant gelöst, sondern auch formal, in den Schnitten, den Übergängen.
Richard Eyres 'Iris' ist leise erzählt, ohne dröhnende Emotionen, und wirkt gerade dadurch umso nachhaltiger. Nicht zuletzt durch das wirklich großartige  Schauspielensemble - neben Judi Dench Jim Broadbent als alter John, Kate Winslet als junge Iris - kann man diesen Film bei aller bedrückenden Thematik als ein Meisterwerk bezeichnen, das man wirklich nicht verpassen sollte.
Hartmut Burggrabe

 

Iris
von Richard Eyre - GB/USA 2001, 95 min

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mit Judi Dench, Jim Broadbent, Kate Winslet

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