Muttersöhnchen,
Söhncheneltern
"Tanguy" von Etienne Chatiliez (ab
30.5.02)
Tanguy Guetz ist 28 und sehr erfolgreich. Er hat eine Eliteschule
absolviert, einen Abschluß in Philosophie, hat Japanologie studiert und
schreibt an seiner Dissertation. Fach: Chinesisch. Aber Tanguy hat einen
Fehler. Er wohnt noch immer bei seinen Eltern zuhause. Seine Eltern sind
vermögend, haben eine
große
Wohnung über den Dächern von Paris, Tanguy
bekommt leckeres Essen, es gibt eine Haushälterin und komplette Freiheit,
was zum Beispiel Damenbesuch angeht. Und der ist nicht selten. Denn Tanguy
ist nicht nur intelligent, sondern auch charmant. Auf seine spezielle Art,
versteht sich. Man könnte ihn böswillig auch etwas schleimig nennen. Einen
Softie. Als Tanguy (Eric Berger) seinen Eltern nun eröffnet, daß er wegen
der Doktorarbeit seine geplanten China-Aufenthalt um ein Jahr zu
verschieben gedenkt, ist das für die Mutter zuviel. Ein weiteres Jahr! Am
Babybett hatte sie vor Mutterwonne den verhängnisvollen Satz ausgerufen:
"Von mir aus kannst du ein Leben lang bei uns wohnen". Langsam schwant
ihr, daß der Satz wahr werden könnte - und es ist schon lange kein
Wunschtraum mehr. Wenn Tanguy im Haus ist, bekommt Mutter Edith (Sabine
Azema) regelmäßig einen Tick. Längst sucht sie deshalb einen Psychiater
auf. Diesmal platzt ihr der Kragen. "Wenn er endlich nicht mehr zuhause
wohnen würde, könnte ich ihn auch wieder lieben als meinen Sohn!" Auch
Vater Paul (André Dussollier, der ohne Probleme auch ein Stoiber-Double
geben könnte) hat genug vom "Riesenbaby". Eine eigene Wohnung will er ihm
aber nicht mieten. Der Sohn soll nicht als verwöhntes Muttersöhnchen
enden. Also hecken die Eltern einen diabolischen Plan aus: Ab sofort soll
dem Sohn das Elternhaus vergrault werden. "Wenn er sich bei uns nicht mehr
wohl fühlt, wird er von alleine gehen", so die These des Vaters. Von
dieser Minute an gewinnt der Film an Tempo und Komik, denn auch die
fiesesten Fallen und Antimittel prallen an der asiatisch geschulten
Gelassenheit und Güte des Sohns ab. Die Mutter vergrätzt seine Freundin -
Tanguy ist ihr dankbar. Der Vater verpaßt ihm durch präzis gezielten
Aufschlag beim Tennis drei Wochen Halskrause - Tanguy verzeiht auf der
Stelle. Die Gutmütigkeit des Sohnes bringt die Edith und Paul erst recht
auf die Palme, und so steigern sich ihr Aversionen in Haß, sie greifen zu
immer wahnwitzigeren Mitteln, um den Sohn loszuwerden. Als es vorläufig
gelingt, endet das mit regelmäßigen Zusammenbrüchen des Sohns in seiner
Einzimmerwohnung - nein, ohne seine Eltern hat er ganz konkret nicht
genügend Luft zum Atmen, zum Leben. Tanguy kehrt zurück zu den Eltern, und
deren Kampf erreicht das nächste Level.
Etienne Chatiliez, manchem vielleicht bekannt durch sein Regiedebüt "Das
Leben ist ein langer, ruhiger Fluß", ist mit seinem Film über das
Muttersöhnchen und noch mehr über die Söhncheneltern eine recht
amüsante Komödie gelungen. Der Aberwitz der Eltern, die den Sohn hassen,
um ihn wieder lieben zu können, und das fernöstlich übermäßige
Verständnis, mit dem der junge Streber allen und allem begegnet, lassen
einen herzlich lachen. Dabei sieht man gerne über manch doch recht
konstruiert wirkende Konstellation, manch realitätsfernes Gespräch hinweg.
"Tanguy" soll wohl überzeichnet sein, dafür ist er aber auch wieder
nicht verrückt genug. Davon abgesehen ist Chatiliez' Film aber vor allem
eins: Unterhaltung im besseren Sinne.
Michaela Schmid
Tanguy
von Etienne Chatiliez - F
2001, 108 min |
°°° |
mit Sabine
Azema, André Dussollier, Eric Berger, Helene Duc, Aurore Clément,
Jean-Paul Rouve u.a. |
was
bedeutet
unsere Wertung? |
|