KURZKRITIK

Leute Häute
"Tattoo" von Robert Schwentke (ab 4.4.)

Puh! Das sitzt. Gleich zu Filmbeginn, es ist Nacht, sehen wir eine Frau bibbernd eine Straße entlang hinken. Die Frau ist nackt, auf ihrem Rücken fehlt ein großes Stück Haut - im nächsten Moment rast ein Bus ins Bild, reißt die Frau mit sich. Explosion.
Um es gleich zu sagen: Dieser Film ist nichts für
leichte Kinostunden. "Tattoo" ist eher ein Thriller - vom Kaliber "Anatomie". Er spielt mit dem Schock, schürt Ängste und drosselt die Spannung. Das alles tut er sehr gekonnt, ohne dabei zu perfekt, zu glatt wirken.
Zur Geschichte: Marc Schrader (August Diehl), frischgebackener Absolvent der Polizeischule, wird von Hauptkommissar Minks (Christian Redl) auf einer illegalen Party erwischt - mit Drogen. Minks stellt Schrader vor die Wahl: Entweder er läßt ihn auffliegen, was das sofortige Ende seiner Polizeikarriere bedeutet. Oder Schrader wird sein Assistent in der Mordkommission.
Gleich der ersten Fall unter dem neuen, reichlich rauhen und kratzbürstigen Chef setzt Schrader ganz schön zu: Das Team stößt auf eine Serie von Morden, deren Opfer alle eines verbindet: den Leichen wurde eine Stück Haut herausseziert. Nach einigen Ermittlungen im Fall taucht noch eine Gemeinsamkeit auf: Die Opfer waren alle Träger kunstvoller Tätowierungen. Und dann taucht plötzlich die kühle Schönheit Maya (Nadeshda Brennicke) auf. Je mehr ans Tageslicht kommt, desto mehr macht Schrader der Fall persönlich zu schaffen. Auch Hauptkommissar Minks ist nicht so hart und unbeteiligt, wie er zunächst wirkt: Seine Tochter Marie ist seit zwei Jahren spurlos verschwunden.
Mehr sei hier nicht verraten. "Tattoo" besticht durch ein ausgeklügeltes und kaum vorhersehbares Handlungsgeflecht sowie durch Charaktere, die ihre Brüche haben, die ihre Fehler haben und doch (im Fall der Polizisten) nach außen immer hart, sicher und entschieden wirken müssen. August Diehl, auf der Kinoleinwand bekannt geworden durch Hans-Christian Schmids "23", spielt wieder einmal bravourös, und auch Christian Redl als Minks ist ein Volltreffer.
Daß sich die Figuren ständig in düsteren, tristen Räumen bewegen, daß selbst bei Tageslicht alles seltsam an Momente kurz vor einer Sonnenfinsternis erinnert, wirkt manchmal gekünstelt, ist aber wohl genrebedingt. Angenehm ist dabei, daß die besonders schrecklichen Augenblicke (wörtlich) sich immer schon musikalisch ankündigen. Bei Bedarf weiß der Zuschauer also, wann er die Augen zu schließen hat.
Sonst aber gilt: Wer sich dem Psychokitzel gerne einmal aussetzt, wer sein Nervenkostüm einmal richtig strapazieren möchte, dem sei dieser Film wirklich empfohlen. "Tattoo" fesselt und läßt einen nicht so schnell los. Auch nicht, wenn man den Kinosaal längst verlassen hat.
Hartmut Burggrabe
 

Tattoo
von Robert Schwentke - BRD 2002, 108 min

°°°°

mit August Diehl, Christian Redl, Nadeshda Brennicke, Johan Leysen, Monica Bleibtreu, Gustav-Peter Wöhler, Ilknur Bahadir, Ingo Naujoks, Joe Bausch, Jasmin Schwiers, Fatih Cevikkollu

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